Dunkle Wolke sorgt für Sonnenschein

Interview mit Pınar Karabulut über ihre Inszenierung INVASION! auf dem Theaterfestival Radikal Jung.


Die junge Regisseurin Pınar Karabulut zeigt am 20. und 23. April ihre Debütinszenierung INVASION! am Münchner Volkstheater auf dem Festival Radikal Jung, zusammen mit Arbeiten 12 anderer junger Regisseure.

Dunkle Wolke mit Salzstreuer, Foto: Abulkasem


Es ist ein kluger Schachzug gewesen vom Schauspiel Köln, die junge Regisseurin Pınar Karabulut als Assistentin anzustellen. Schon mit ihrer ersten Inszenierung INVASION! von Jonas Hassen Khemiri, hagelte es Lob und Anerkennung. Kulturkritiker fanden ihr Debüt großartig und offensichtlich auch die Jury des Münchner Theaterfestivals Radikal Jung. So kehrt Karabulut, was auf türkisch dunkle Wolke bedeutet, zum Heimspiel an den Ort, wo ihre Theaterkarriere begann, und sorgt für sonniges Wetter. Hier vorab schon mal ein Interview mit Pınar über die substantielle Bedeutung von i-Tüpfelchen, Kamikaze-Proben und Identitätszuschreibungen.


Pınar, nervt es dich eigentlich, dass die Leute hierzulande das stumme ı in deinem Namen ignorieren und sogar das r an Ende weglassen und dich manchmal einfach nur noch Pina (wie Pina Bausch) rufen?

Abgesehen davon, dass ich Pina Bausch toll finde, kommt es immer drauf an. Je nach dem Grad an Liebe, die ich für die jeweilige Person empfinde, kann ich drüber hinwegsehen, sogar schmunzeln. Andernfalls folgt stets eine 7 minütige Abhandlung über Interkultur und Respekt. Das ist harte Aufklärungsarbeit, das ich ehrenamtlich leiste. Das gute daran ist, dass ich dadurch gelernt habe Vorträge aus dem Stegreif zu halten.

Das kommt mir bekannt vor. Die Not hat deine theatralen Sinne geweckt...

Absolut.

Rührt daher auch die Textauswahl für deine Inszenierung, die jetzt bei Radikal Jung gezeigt wird.

Ja, INVASION! verweist auf ähnliche Erfahrungen, die der Autor Jonas Hassen Khemiri erlebt haben muss.

Worum geht es in INVASION! ?

Es ist eine dramatische Abhandlung, das sich mit Identitätszuschreibungen und -konstruktionen befasst. Mich hat schon immer die Tatsache beschäftigt, dass Identität einem ständig von außen zugeschrieben wird. Das kennt ja jeder von uns. In einer interkulturellen und rassistischen Gesellschaft haben manche Menschengruppen ganz besondere Erfahrungen damit gesammelt, von negativen Zuschreibungen bestimmt zu werden, dunkelhäutige Ausländer, Papierlose, Geflüchtete...

Im dem Sinne, dass sie in Sprech- und Zuschreibungshandlung involviert sind, die voller Gewalt sein können...

...ja, Khemiri hat mal in einem Interview gesagt, dass die Wörter, die man benutzt, also die eigene Sprache gegen einen verwendet werden kann. Diese Aussage gewährt schon mal einen Einblick in die Abgründe, die sich durch Sprache auftun. Sprache scheint mir daher etwas ambivalentes, mächtiges, konstruktives und destruktives zugleich.

Wie geht Khemiri in dem Text damit um?

Er spielt mit der Ambivalenz der Sprache und führt dich damit hinters Licht. Er nutzt eine ganz einfache Sprache und verhandelt aber ganz fundamentale Dinge. Er schafft es, mit der Figur Abulkasem das ganze Repertoire an Zuschreibungen, Vorurteilen, Klischees und Umdeutungsstrategien zu vermitteln.


Stellt Abulkasem einen Kanaken dar?

Sagen wir mal so, Abulkasem ist eine zentrale Figur in dem Stück, die Fragen aufwirft, Vorstellungen evoziiert, verwirrt, den Spiegel vorhält, verunsichert und zum Lachen bringt. Anders formuliert: Er ist das Problem und die Lösung zugleich.

Eine utopische Figur!

Übertreib mal deine Rolle nicht, würde Jilet Ayşe jetzt sagen. Aber ja, du hast recht, da ist was dran.

Hast du auch mal mit dem Gedanken gespielt etwas klassisches zu inszenieren, Shakespeare oder so?

Ich liebe dramatische Texte, von daher liegt Shakespeare nicht so fern. Aber ich wollte etwas, das mich explizit berechtigt diesen Text zu inszenieren. Nina Rühmeier, die Dramaturgin, mit der ich zusammenarbeite, hat mich aufmerksam gemacht auf den Autor Khemiri. Ich habe dann INVASION! von ihm gelesen und wusste sofort: das ist es! Es war also Liebe auf den ersten Blick und dann war die Sache auch schon entschieden.

Achour und Schlott in der Dolmetscherszene, Foto: Martin Misere


Und wie ging es dann weiter?

Hart, weil die Arbeit an der Inszenierung parallel zu meiner Arbeit als Regieassistentin am Schauspiel Köln lief.

Das klingt nach einer 80 Stundenwoche.

So ungefähr. Der Vorteil ist natürlich, das das im Rahmen der Werkstücke lief, einem Programm hier am Schauspiel Köln, in dem Regieassistenten die Möglichkeit haben, selbst zu inszenieren oder Stücke zu entwickeln. So eine Möglichkeit ist schon was besonderes. Trotzdem musste ich nebenher zwar viel arbeiten, hatte dafür aber auch direkten Kontakt zum Ensemble, zur Dramaturgie, Bühne, Kostüme, Technik.

Das heisst, die Schauspieler_innen sind alle vom Ensemble?

Mohamed Achour und Magda Lena Schlott sind vom Ensemble. Nicolas Streit und Thomas Brandt sind von der Leipziger Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy". Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Schauspiel Köln und der Leipziger Hochschule haben wir also auch junge Nachwuchsschauspieler am Haus, die ich für mein Projekt überzeugen konnte.

Wie lang muss man proben, um bei Radikal Jung auf Anklang zu stoßen?

Wir haben auf Kamikaze-Proben gesetzt, das heisst sehr kurze und intensive Proben. Wir hatten nicht viel Zeit. Da muss man genau wissen, was man will und jeder muss voll Bock drauf haben. Das war gottseidank der Fall. Und unter Druck erzielt man manchmal - nicht immer - ziemlich gute Ergebnisse. An einem der wenigen Probentage hatte die Bühnentechnik von der Grotte, in dem wir geprobt haben, die Stühle völlig falsch montiert. Sie waren alle wie für ein Kino in den Boden geschraubt, so dass wir nur einen Meter frei hatten, um da zu proben. Zuerst dachte ich, ich Dreh durch, weil so schnell konnte man diese Bestuhlung ja auch nicht mehr umändern und wir waren echt unter Zeitdruck. Naja, dann haben wir eben auf einem 1 Meter breiten Streifen geprobt. Das war dann eine unserer besten Probe. Da haben wir dann die Szene geknackt.

Ab jetzt also nur noch auf einem Quadratmeter proben, für beste Ergebnisse...man ist es ja vom Wohnen auf engstem Raum gewohnt.

42qm zu viert. Standard.  

Wann und wo hatte das Stück denn Premiere?

Das war am 12. November 2014 in der Grotte in Köln. Das ist eine kleine aber feine Bühne vom Schauspiel Köln, die aus zusammengesteckten Containern besteht. Da weht ein bisschen Off-Wind, was ich als sehr angenehm empfinde.

Brandt und Streit in IVASION! - Grotte/ Schauspiel Köln, Foto: Martin Misere

Wird das Stück auch an anderen Häusern gezeigt?

Ich habe 30.000 Mails an verschiedene Personen in Theaterhäusern geschrieben. Rein statistisch müsste es in naher Zukunft etwa 30 Aufführungen geben.


Grandios. Haben denn die Champagnerflaschen geknallt als du von der Einladung zu Radikal Jung erfahren hast?

Zu meinem Erstaunen ist das ist alles sehr unglamourös abgelaufen. Das Planungsbüro von Schauspiel Köln hatte schon mit der Reiseplanung für das Gastspiel bei Radikal Jung begonnen, als ich von der Sache erfuhr. Ich hatte tatsächlich aber noch keine Zeit, auf unsere Einladung anzustoßen. Champagner gibt's dann in München, besser Kir Royal!

Es könnte also sein, das dein Stück erfolgreich verreist und du hinterherwinkst?

Wäre mir nicht unrecht. Hauptsache bahnbrechender Erfolg!

Da muss ich gleich an deine Studien- und Assistenzzeit in München denken, in der alles seinen Anfang nahm. Errinnerst du dich noch an dein erstes Stück, das du gesehen hast?

Ich weiß es noch genau: OTHELLO von Luc Perceval an den Münchner Kammerspielen. Das hat mich so geflasht. Da wusste ich, du bist hier richtig in dieser Stadt. In München habe ich zum ersten Mal Formen von Theater kennengelernt, die mich interessiert haben.

Das heisst, du warst viel im Theater und wenig im Hörsaal?
Naja, mein Studium war ja sehr wissenschaftlich orientiert. Aber die Praxis ist ja auch wichtig. Das habe ich dann über das Assistieren erlernt und dadurch, dass ich mir viele Stücke angesehen habe.

Was bringt so ein Studium der Theaterwissenschaften eigentlich für jemanden, die als Regisseurin arbeiten möchte? Ist das nicht einfach nur trockene Theorie ?
Zum Großteil schon, aber ich persönlich möchte es nicht missen. Gerade in der Geisteswissenschaft wird man sehr streng dazu erzogen, wie man an Dinge herangeht, wie man recherchiert oder auch wie man Kunst im Allgemeinen wahrnimmt. Diese Herangehensweise ist eine ganz andere als am Theater, aber gerade deswegen, eröffnet sich manchmal ein anderer Blick auf die Dinge.


Du hast öfter bei der Regisseurin Christine Umpfenbach assistiert. Bei ihrem Stück "Gleis 11" zur Gastarbeitergeschichte sind wir uns zum ersten Mal begegnet, gell?
Ja stimmt. Christine's Theaterprojekte sind eben immer auch Begegnungsorte, Knotenpunkte oder sagen wir soziale Skulpturen, in denen unterschiedllichste Menschen zusammenkommen.

Hat sie dich in deiner Theaterarbeit beeinflusst?
Ich hoffe doch. Ich mag ihre dokumentarischen Arbeiten sehr. Ich bin froh, dass ich meine allererste Regieassistenz bei Christine Umpfenbach machen durfte, weil mir das gezeigt hat, wie man durch Proben mit Geduld, Empathie und der richtigen Dosierung von Ansagen, großartige Projekte hervorbringen kann. Als Christine nach Köln gekommen ist, um sich INVASION! anzusehen und ihr der Abend gefiel, war das das größte Lob.

Und das größte Glücke wäre im Maxim-Gorki unter der Intendanz von Şermin Langhoff und Jens Hillje zu inszenieren, stimmt's?

Şermin Langhoff hat mit dem gegenwärtigen Maxim-Gorki-Theater eine Utopie verwirklicht, in der ich mich nur allzu gern aufhalten würde. Allein schon die Zusammensetzung vom Ensemble ist super.

International ist mittlerweile aber auch das Ensemble anderer Theaterhäuser...

...ja, aber wenn wir ehrlich sind, ist da nur eine ganz bestimmte Kategorie an Ausländern vertreten: Belgier, Holländer, Schweizer, sogar Südafrikaner (!), aber weisse natürlich. Im Maxim-Gorki sieht man Schwarzköpfe und genau das finde ich gut. Und Şermin Langhoff ist mit Abstand die coolste Intendantin, weil sie es als Kanakin und Frau an diese Position gebracht hat. Sie ist Godmother of Theater, ganz klar.

Ve ledalin amin.






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