Filmtip: Das Recht der Macht



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Ein Film von Raanan Alexandrovicz und Liran Atzmor, Israel, 2012
Der Film beginnt mit einer Selbstreferenz: Man sieht, wie das Filmteam in einem großen grünen Raum herumwerkelt und das Setting vorbereitet. Ein paar Männer rücken Holzplatten zurecht, bauen einen Tisch auf, einer putzt die Tischoberfläche gründlich ab, ein anderer fragt, ob man den Stuhl schon aufstellen könne. Die Filmlichter glühen bereits, die Mikrophone hängen. "Das ist der Anfang eines Dokumentarfilms" hört man eine Stimme aus dem Off sprechen. Man sieht nur noch einen Tisch und einen Stuhl, im Hintergrund eine wandgroße Filmprojektion, offensichtlich Archivmaterial.  

Die Stimme aus dem Off fährt fort: "In diesem Film werde ich ein Rechtssystem dokumentieren. Ein System, das die Rechtsstaatlichkeit in den von uns 1967 eroberten Gebieten organisiert. Es ist ein einzigartiges System. Nur wenige Menschen verstehen es in all seinen Facetten. Auch lohnt es sich, für einen Augenblick über den Begriff Gesetz nachzudenken." 

Während man der Stimme zuhört, blickt man weiterhin auf den Tisch und den Stuhl, die unbewegt dastehen, während im Hintergrund Videos auf die Wand projiziert werden. Man sieht Massen an Palästinensern, wie sie sich in Reihen aufstellen, warten, gucken, an Wände gestellt und durchsucht werden. 

Dazu die Stimme aus dem Off:  "Üblicherweise wird das Gesetz als eine Ansammlung von Regeln verstanden, die das Leben an einem bestimmten Ort organisieren, und das die Rechte und Pflichten zwischen verschiedenen Individuen untereinander sowie zwischen Individuen und der Staatsgewalt festlegt."  

Diese sachliche und zunächst einleuchtende Definition von Gesetz wirkt vor dem Hintergrund der eingespielten Videos, in der die Umsetzung eben dieser Gesetze an der palästinensischen Bevölkerung zu sehen ist, sehr irritierend. Dann verstummt die Stimme erstmal.

Im weiteren Verlauf des Dokumentarfilms sitzen ältere Herren nacheinander am Tisch und erzählen über ihre Arbeit. Sie sind pensionierte Militärrichter, die hochrangige Positionen innehatten. 
Sie erzählen ziemlich frei und locker. Die Urteile, die sie damals fällten, zeigen, wie willkürlich in Rechtssystemen entschieden wird, ob man Aktionen als Freiheitskampf oder Terrorismus einordnet. Es entspricht der Ordnung, Palästinensern, die ihre Heimat verteidigt haben, und die sich als Widerstandskämpfer gegen die Besatzungsmacht verstehen, den Status von Kriegsgefangenen zu verweigern, und sie stattdessen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation teilweise zu lebenslangen Freiheitstrafen zu verurteilen.
Einer dieser Menschen ist Bassam Tammimi. 2011 stand er vor dem israelischen Militärgericht und machte eine Eingabe, in der er auf die Widersprüche des israelischen Rechtsstaates hinweist.

"Euer Ehren: Ich bin in dem Jahr geboren, als die Besatzung begann [1967] und mein ganzes Leben verbrachte ich im Angesicht der damit verbundenen Unmenschlichkeit, der Ungleichheit, dem Rassismus und dem Mangel an Freiheit. Neun Mal bin ich inhaftiert worden, insgesamt fast drei Jahre lang, obwohl ich niemals für eine Straftat verurteilt wurde. Während der Gefangenschaft wurde ich durch die Auswirkungen der Folter gelähmt. Meine Frau wurde inhaftiert, meine Kinder wurden verwundet, mein Land wurde von Siedlern gestohlen und mein Haus wurde jüngst zum Abriss freigegeben. Nach dem Völkerrecht verfügen die Einwohner eines besetzten Gebietes über das Recht auf Widerstand. Weil ich an dieses Recht glaube, organisiere ich große Demonstrationen gegen den Diebstahl von mehr als der Hälfte des zu meinem Dorf gehörenden Landes, gegen die Angriffe von Siedlern, gegen die Besatzung. Ihr, die Ihr für euch beansprucht, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, zwingt mich unter Gesetze, verfasst von Machthabern, die ich nicht gewählt habe, und die mich nicht vertreten. Für mich gibt es diese Gesetze nicht, sie sind bedeutungslos. Der Militärankläger wirft mir vor, Demonstranten zum Werfen von Steinen auf Soldaten angestiftet zu haben. Aber was sie tatsächlich angestiftet hat, waren die Bulldozer der Besatzer auf unserem Land, die Gewehre und der Geruch von Tränengas. Und wenn der Militärrichter mich freilässt, soll mich das dann davon überzeugen, dass es in Euren Militärgerichten gerecht zugeht?“

Einer der Militärrichter erklärt, dass sich Ordnung und Gerechtigkeit nicht immer vereinbaren lassen...
Hört man den Geschichten der Militärrichter zu, fragt man sich, wie die beiden israelischen Regisseure Ra'anan Alexandrowicz und Liran Atzmor es geschafft haben, diese hochrangigen Militärrichter davon zu überzeugen bei ihrem Projekt mitzumachen und so offen und frei zu erzählen. 

Im deutschen Fernsehen wurde der Dokumentarfilm erstmals auf ARTE im Februar 2013 ausgestrahlt und ist auf Youtube frei zugänglich:


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